Vor über einem Jahr habe ich eine Entscheidung getroffen, die sehr tief mit meiner Identität verknüpft ist: eine Namensänderung. Das war eine sehr große Veränderung, die vor allem mein Umfeld gefordert hat. Ich habe meinen Rufnamen geändert.
Mein alter Name und die Bedeutung für mich
Fast 45 Jahre lang wurde ich Marianne genannt. Leider hatte ich immer meine Schwierigkeiten mit diesem Namen. Es war irgendwie nicht meiner. Schon im Kindergarten hab ich allen gesagt, dass sie mich anders nennen sollen – damals Angelica (italienisch gesprochen). Damals wurden solche “Verrücktheiten” abgetan. An sich finde ich den Namen nicht hässlich, aber ich habe mich irgendwie immer davon distanziert. Von manchen Menschen wurde er mit einem Heimatfilm aus den 60ern “Mariandl” in Verbindung gebracht und ich dann so bezeichnet. Meine Großeltern nannten mich Marianna, bayerisch war es die Maaree und die Kindergartenkinder fanden Marianne-Gießkanne superlustig. In den weiterführenden Schulen wurde ich dann Mary Ann genannt und das gefiel mir besser. Als ich mein Sprachentalent entdeckte und dabei feststellte, dass es diesen Namen oder Varianten davon in sehr vielen Sprachen gibt, versuchte ich mich mit dem Namen zu versöhnen. Mit wenig Erfolg. Ausserdem waren die meisten, die ich mit diesem Namen kannte, eine Generation älter.
Außerdem verknüpfe ich mit diesen Namen natürlich sehr meiner Kindheit und die war für mich geprägt von dem Gefühl, nicht richtig zu sein, anders zu sein. Ich versuchte immer mich anzupassen an das, was von mir erwartet wurde.
Der Wunsch nach Veränderung.
Mein Mann nannte mich zum Glück selten beim alten Namen, und als meine Eltern starben (ich war 27) hörte ich ihn immer weniger. Als wir in die USA zogen, waren wir wieder bei MaryAnn und ich startete auch meine Selbständigkeit als Fotografin mit MaryAnne Photography.
Die Selbstständigkeit lehrte mich viel über mich selbst. Ich durfte mich entwickeln, mich verändern, neu ausprobieren und wachsen. Ich hatte mal pinke, mal blaue Haarsträhnen, versuchte mich neu zu entdecken und erlaubte mir mehr.
Die Rückkehr nach Deutschland bedeutete eine Namensänderung für die Firma – und um das Business zu kickstarten, trat ich verschiedenen Netzwerken bei. Dies alles bedeutete, mich regelmäßig vorzustellen, den Namen am Türschild, auf meinen Marketingmaterialien und jedem Produkt, das ich verkaufte zu sehen. Der Name fand sich auf den Visitenkarten der Vorstandsposition, die ich übernommen hatte, den Weiterbildungszertifikaten, etc. Der Name begann mich zu erdrücken.
Die Entscheidung zur Namensänderung
In einem Businesscoaching kam das Gespräch auf Namen und wie wenig ich meinen mochte. Meine Hausaufgabe wurde einen kleine Ahnenrecherche zu beginnen um zu sehen, ob ich mich dann wohler fühlte. In einem Nebensatz erwähnte die Coachin, dass man Namen ja auch ändern könne. Rückblickend war dieser Satz sehr wichtig für mich. Aber ich machte mich an die Recherche und es stellte sich tatsächlich heraus, dass die Schwester meines Großvaters Marianne hieß und mit 35 verschleppt und ermordet wurde. Sie hinterließ keine Kinder. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich ihre Erinnerung aufleben ließ und ich dachte ich könne mich jetzt mit dem Namen versöhnen.
Aber die Zeit verging und es wurde nicht besser. Im Gegenteil, ich dachte immer wieder daran, dass ich kein Mahnmal für jemanden sein wollte und je öfter ich meinen Namen am Tag hörte, desto mehr belastete es mich. Ich war froh, dass ich mit meinem Mann darüber sprechen konnte. Wir hatten auch schon mal über den Satz der Coachin gesprochen, aber ohne Ergebnis.
Als dann mein 45. Geburtstag näher rückte und ich das Gefühl von Halbzeit verspürte, liefen irgendwann wieder Tränen wegen meines Namens. Mein Mann nahm mich in den Arm und meinte, dass ich nicht auch den Rest meines Lebens mit diesem Namen verbringen müsse und wenn es mir gut täte mich gerne andern nennen würde. Das war sehr lieb, aber ich widersprach, und sagte, was wohl jeder von mir denken würde, wenn ich in meinem Alter so “spinnen” würde, vor allem natürlich mein Umfeld. Aber mein Mann verwarf das und sagte, das wäre nicht so wichtig. Wichtig wäre, dass es mir gut geht. Nach ein paar Tagen traf ich dann eine Entscheidung. Ab jetzt würde ich mich Anna nennen lassen. Erst nur im engsten Familienkreis um zu sehen, wie ich mich dabei fühle. Warum Anna? Meine Mutter hatte mir mehrmals erzählt, dass sie immer wusste, dass sie mal eine Tochter mit den Namen Anna haben würde und das auch jedem erzählt. Als ich geboren wurde, hatte sie das Gefühl, dass es nun keine Überraschung sein würde, und sie bastelte Anna mit dem Namen ihrer Schwester Maria, die meine Taufpatin wurde, zusammen. Anna hörte sich für mich aber viel stimmiger an. Also wollte ich in die 2. Lebenshälfte mit dem Namen Anna starten.

Wie mein Umfeld auf meine Namensänderung reagiert hat
Zunächst haben wir unsere Kinder informiert. Obwohl sie mich Mama nennen und nicht beim Vornamen, wollte ich ihnen erklären, was mich dazu gebracht hat und hoffte auf Verständnis. Sie waren zu dem Zeitpunkt 17, 15, und 11. Sie hatten überhaupt kein Problem damit. Meine Brüder und ihre Frauen akzeptierten das sofort – was mich heute noch zu Tränen rührt – baten aber um Verständnis, wenn mal der alte aus Gewohnheit rausrutschen würde. Die Schwiegerfamilie nahm es teils gut auf, teils hielt man es für einen Scherz. Als die Namensänderung aber gesichert keiner war, versuchte jeder den neuen Namen zu benutzen.
Ich klebte mir ein Post-it mit Guten Morgen Anna an den Spiegel und zauberte mir damit täglich ein Lächeln ins Gesicht. Als der erste Brief mit meinem neuen Namen ankam, brach in in Tränen der Freude aus. Das war so ein schönes Gefühl und ich teilte es sofort mit meinen Brüdern. Die schickten mir beide prompt einen Screenshot aus dem ersichtlich war, dass sie mich schon umgespeichert hatten. Noch mehr Tränen der Freude. Ich war so glücklich, dass sich jeder so viel Mühe gab und mir sehr klar, was das von jedem forderte.
Es stellte sich aber schnell heraus, dass man das nicht im kleinen Kreis halten konnte, und ich entschied mich es komplett durchzuziehen. Ich informierte meine Arbeitskollegen, die mich erste seit vier Monaten kannten und auch hier wurde es gut aufgenommen. Ich änderte meinen Businessnamen, und alle möglichen schriftlichen Namenserscheinungen. Zunächst auf Anna Marianne mit dem Ziel später Anna M. daraus zu machen und so einen Übergang für Kunden zu schaffen. Mein Buch, das ich im Februar veröffentlichte, erschien schon unter Anna Marianne und es war ein gutes Gefühl.
Es gab viel Zuspruch für den Mut zur Veränderung, Verständnis, Geständnisse, dass es einigen auch so geht und sie schon darüber nachgedacht haben. Aber es gab auch Unverständnis. Von Eltern, die meinten sie wären beleidigt, wenn ihre Kinder den Namen, den man ihnen so sorgsam ausgesucht hatte, ändern würden. Damit konnte ich umgehen. Aber es gab mehr positive Reaktionen. Geschichten von anderen, die das auch getan hatten, von einer Cousine, von der ich gar nicht wusste, dass sie mal anders hieß. Mein Sohn traute sich zu sagen, dass er seinen Namen auch nicht so gut fände und ich zeigte Verständnis und Offenheit für Veränderung.
Rückblick – Was hat sich seither geändert?
Meine Hoffnung, dass einen Namensänderung für mich auch amtlich irgendwann mal möglich sein würde, habe ich inzwischen auf Eis gelegt. Das geht in Deutschland aktuell nicht. Nur, wenn ich mein Geschlecht ändern würde und vielleicht Thomas heißen wollte. Marianne wird also vorerst mein Behördenname bleiben, auf Pass, Krankenkassenkarte, Flugticket und meinem THW-Ausweis.
Ich bin aber immer noch glücklich mit meiner Entscheidung zur Namensänderung und mit meinem neuen Namen. Anna fühlt sich einfach stimmiger an. Marianne war einfach jemand anders. Ein kleines Mädchen, das versucht hat für alle annehmbar, brav und angepasst zu sein, Erwartungen zu erfüllen, andere Stolz zu machen. Sie hat mich auch bis hierher gebracht mit ihrem starken Willen, Durchhaltevermögen und der Fähigkeit zu sehen, was andere brauchen.
Anna schaut auch darauf, was sie selbst braucht, ist viel selbstbewusster, findet sich schöner, leichter und traut sich mehr. Als Anna habe ich die Ausbildung zum psychischen Ersthelfer gemacht, habe mich als Komparse bei einer Filmagentur angemeldet, eine Jugendgruppe übernommen, zwei sichtbare Tattoos bekommen und sage viel öfter nein zu Dingen, die ich nicht möchte und mehr ja zu Dingen, die ich mir wünsche.
Fazit für mich: der Mut zur Veränderung hat sich gelohnt
Es war eine gute Entscheidung. Mir ist klar geworden, wie viele liebe Menschen um mich sind, die mich einfach so akzeptieren wie ich bin oder wie ich werde, auch wenn ich manchmal Ideen habe, die ungewöhnlich sind. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht so stark anpassen muss, wie ich dachte, dass ich nicht ja sagen muss um gemocht zu werden und dass anders sein nicht vor jedem versteckt werden muss. Ich habe auch einen riesigen Respekt vor jedem, der sich durch irgendeinen Art von anders sein in der Gesellschaft outet. Wenn ich überlege, wie viel negative Gedanken, inneres Leid und wie viel Mut es für mich gebraucht hat um diesen Schritt nur bezüglich eines Namens zu gehen, habe ich eine winzige Vorstellung davon, was Menschen durchleben, die sich nicht trauen ihre Sexualität oder ihr empfundenes Geschlecht oder ihre Andersartigkeit vor der Welt zu zeigen. Ich hoffe, dass ich zumindest denen Mut machen kann, die mir ihrem Namen unglücklich sind, denn für mich war das dir richtige Entscheidung.
Hast du jemals vor solch einer oder einer ähnlichen Entscheidung gestanden?
Mehr Infos zum Namensrecht in Deutschland: Bundesministerium des Inneren